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Schambeinentzündung (Symphysitis)

Wer ist von dieser Erkrankung betroffen?

Häufiger als Frauen sind Männer im Alter zwischen 30 und 50 Jahre betroffen. Als Ursache kommen in Betracht
Ball- und Kontaktsportarten, z. B. Fußball, Basketball, (Eis-)Hockey, Rugby
Laufen: Insbesondere Mittel-/Langstrecke
Bei Frauen kann es im Rahmen einer Schwangerschaft zur Lockerung und Aufweitung der Schambeinfuge kommen
Der Schmerz beim Einbeinstand (z. B. beim Ankleiden) oder beim Treppensteigen sind ernst zu nehmende Hinweise auf das Vorliegen einer Schambeinreizung!

Als Ursache der Schmerzsymptomatik hat sich herausgestellt, dass neben Fällen mit einer isolierten Schambeinentzündung häufig eine Kombination mit Mikrorissen der Adduktorenansätze (Oberschenkelmuskulatur der Innenseite) besteht.

Wie kann man sich die Entstehung einer Schambeinentzündung vorstellen?

Nach operativen Eingriffen im Bereich des Beckens, aber auch durch Schwangerschaft und Geburt, durch Unfallereignisse (Trauma/Mikrotraumen) und bei Erkrankungen aus dem rheumatischen Formenkreis kann sich die Schambeinentzündung entwickeln
Bei Athleten:
Bei vielen Sportarten treten wiederholte abnorme Scherkräfte auf
Bewegungsmuster wie abruptes Beschleunigen bzw. Abbremsen, aber auch häufiger Richtungswechsel wirken auf das Becken ein.
Die am Becken ansetzenden Muskelgruppen bewirken, dass die Schambeinfuge (Symphyse) stabil gehalten wird:
Diese Stabilität sorgt wiederum für die sichere Balance beim Einbeinstand
Erzielt wird die Stabilität durch das Zusammenspiel der Bauchmuskeln, die Muskelgruppen neben der Wirbelsäule (zusammen bilden sie die Rumpfmuskulatur) und durch die Oberschenkelmuskeln an der Innenseite (Adduktoren). Letztere wirken als Gegenspieler zur Bauchmuskulatur.
Störung des muskulären Gleichgewichts treten auf durch
Veränderung des Verhältnisses der Muskelmassen
Dies wiederum verändert bzw. beeinträchtigt ggfs. die Kräfteeinwirkung um die Symphyse herum
Dies kann zur bereits sehr schmerzhaften subakuten Knochenhautentzündung (Periostitis) führen
Die Adduktoren (M. adductor longus) lösen dabei anterior-inferiore Scherkräfte aus (die also nach vorne und fußwärts gerichtet sind)
Die vordere gerade Bauchmuskulatur (M. Rectus abdominis) erzeugt Scherkräfte, die nach hinten bzw. innen sowie kopfwärts gerichtet sind.

Was sind die Folgen?
Beschwerden und Abnutzungserscheinungen an der Schambeinfuge
Die Fähigkeit, sich selbst zu regenerieren, kommt durch Überbeanspruchung nicht hinterher
Die abnormen Scherkräfte vorne an der Symphyse wirken sich hinten am Becken auf die beiden Gelenkfugen aus zwischen Kreuz- und Darmbein (Iliosakral-Gelenke=ISG) im Sinne einer Fehlfunktion – und dies führt zur Zunahme der biomechanischen Veränderungen mit schädlichen Auswirkungen.
Nachfolgend kommt es zu einer Zunahme der Mikrotraumen an der Symphyse. Dies führt letztendlich zur Entzündung und einer Muskelverkürzung. Letztere stellt sich zunächst reflektorisch und noch umkehrbar ein, später aber bleibt sie narbig und damit dauerhaft.
Aus diesen Abläufen ergibt sich zwangsläufig ein Zusammenhang zwischen einer Stressverletzung der Symphyse vorne und den möglichen degenerativen Veränderungen am IS-Gelenk bis hin zur sogenannten Stressfraktur des Kreuzbeines (Sakrums) hinten am Becken.

Was sind die Besonderheiten der Beckenanatomie?

Das Beckenskelett weist eine Ringstruktur auf. Daraus folgt:
Veränderungen der Anatomie oder der Kräfteinwirkungen am Ringsystem können eine Stress- und Schmerzzunahme auslösen (z. B. durch Beinlängendifferenz, durch iliosakrale Fehlfunktion)
Die Symphyse selbst ist als ein Gelenk anzusehen, das eine nur geringe Mobilität besitzt. Dieses Gelenk weist die Fähigkeit zur Kraftaufnahme aus mehreren Richtungen auf.
Das Gelenk wird gebildet von den beiden Schambeinknochen und dazwischen von einer Faserknorpelscheibe (Diskus), die an beiden Knochenseiten anhaftet und die Gelenkstabilität gewährleistet. Er ist mit den umgebenden bindegewebigen Strukturen der Muskelhüllen (Faszien) und Bandstrukturen (Ligamente) innig vereint.
Wie bei einer Bandscheibe ist der Außenanteil sehr fest und widerstandsfähig, der zentrale Anteil ist weicher und weniger fest
Eine Schwangerschaft bewirkt durch die Hormone eine Aufweitung des Beckens. Die gesteigerte Elastizität der Symphysenfuge und auch der Iliosakralgelenke bereitet auf diese Weise die bevorstehende Geburt vor. Dies kann zu Leistenschmerzen führen, die beim Treppensteigen, beim längeren Stehen und Gehen gesteigert werden. Diese Beschwerden können gelegentlich nach der Geburt noch fortbestehen.
Verstärkt wird die Symphyse von vorne bei Anspannung der verschiedenen Muskelansätze oberhalb durch die Bauchmuskeln, unterhalb durch diverse Beinmuskeln, vor allem durch die bereits erwähnten Adduktoren.
Die ineinander übergreifenden Muskel bedeckenden Bindegewebsschichten bilden ein dickes, sternförmig ansetzendes Netzwerk vor der Symphyse.
Das knöcherne Schambein ist bis auf die Gelenkfläche der Symphyse mit einer sehr schmerzempfindlichen mehrschichtigen Knochenhaut (Periost) überzogen.
In der Jugend enthält die Tiefenschicht der Knochenhaut reichlich Gewebezellen mit der Fähigkeit zur Knochenneubildung (Osteoblasten), die bei wiederholten Mikrotraumen einerseits für die Regenerationsfähigkeit verantwortlich sind, andererseits gelegentlich die mit Schmerzen einhergehenden Knochenauswüchse erklären.
Die Regenerationsfähigkeit geht mit dem Verlust dieser Osteoblasten im fortschreitenden Erwachsenenalter verloren.
Die Symphyse wird umfangreich von Nervenbahnen versorgt. Es gibt die sensible Versorgung durch einige Spinalnerven der Lendenwirbelsäule und des Kreuzbeines. Einbezogen sind die vegetativen Nervenbahnen des sympathischen und parasymphatischen Nervensystems. Dies erklärt den vielfältigen Bezug und die Symptomvielfalt in den Bereichen
Leiste, Oberschenkelaußenseite (Trochanter major), Lendenwirbelregion, Vorderfläche der Oberschenkel, Außendreher der Hüftgelenke, Gesäßmuskulatur
Hüftbeuger und Adduktoren, Dammregion (Perinealregion), Oberschenkelinnenseiten

Welche Symptome und klinische Zeichen können sich einstellen?

Die Zeichen der Schambeinentzündung sind sehr variabel und unspezifisch
Dies erschwert den Weg bis zur richtigen Diagnose
Die durchschnittliche Dauer bis zur Diagnosestellung beträgt durchschnittlich 3 Monate (zwischen 1 Woche bis zu 1 Jahr)
Typischerweise beginnt der Schmerz in der Leistenregion und am Unterbauch. Eine Ausstrahlung zur Leiste, in den Genitalbereich, zur Dammregion, und zu den Oberschenkeln oder Hüften ist möglich
Der Beginn ist häufig schleichend über Tage und Wochen, in einigen Fällen ist auch ein akuter Schmerzeintritt möglich.
Welche klinischen Bilder werden aus der Sicht der Betroffenen berichtet?
Der Schmerz strahlt von der Symphyse nach außen aus, insbesondere bei Aktivitäten im Einbeinstand. Die Schmerzqualität in der Leiste ist brennend, scharf oder auch stechend
Der Schmerz tritt am Adduktorenansatz am unteren Randbereich der Symphyse auf, häufig nur einseitig
Der Schmerz nimmt zu bei dynamischer Belastung wie Laufen, oder abrupten Belastungen wie Ball schießen, Bremsen, Starten, Richtungswechsel und beim Liegen auf der betroffenen Seite.
Der Schmerz wird ausgelöst beim einfachen Gehen und Treppensteigen, beim Husten und Niesen. In Ruhe geht der Schmerz meist zurück.
Es besteht ein Schnappgefühl auf der Schambein-Hüft-Ebene beim Aufsetzen, beim Hinlegen oder beim Gehen auf unebenen Untergrund
Beim Gehen zeigen sich Schwierigkeiten bis hin zum Schwächegefühl
In den extrem seltenen Fällen einer eitrigen Knochenentzündung kann Fieber mit Schüttelfrost auftreten (Osteomyelitis suchen/ausschließen!)
Welche objektiven, aber stark variierenden Zeichen der Schambeinentzündung lassen sich erheben?
Ein Druckschmerz lässt sich am oberen Schambeinast der betroffenen Seite(n)auslösen
Die Schmerzen lassen sich über einer oder beiden Iliosakralfuge(n) lokalisieren und/oder als ischiasartige Schmerzen
Bei einer Beinlängendifferenz: Der Hüftgelenksschmerz besteht an der längeren Gliedmaße
Komplikationen der Schambeinentzündung sind selten. Sie können die Sehne der Adduktorenmuskulatur einbeziehen und im Extremfall bis hin zu einer Knocheneinschmelzung führen.

Welche Wege führen zur Diagnose?

Der wohl wesentliche Ansatz besteht in der ärztlichen klinischen Beurteilung: Dazu gehören eine sehr gezielte Erhebung der Krankengeschichte (Anamnese) und die sorgfältige körperliche Untersuchung:
Die Hüftbeweglichkeit wird geprüft: diese kann ein- oder beidseitig eingeschränkt sein, insbesondere die Abduktion und Streckung durch Spasmen oder Verkürzung der antagonistischen Muskulatur.
Der Ein-Bein-Hüpf-Test wird durchgeführt.
Mit einer verlängerten Adduktorenanspannung (Fäuste oder einen Ball mit den Knien zusammenpressen) wird eine mögliche Schmerzauslösung provoziert.
Mit dem direkten Symphysendruck-Test wird von oben durch beidseitiges seitliches Drücken der Schambeinäste mit den Fingerkuppen die Schmerzauslösbarkeit geprüft.
Zu jeder klinischen Untersuchung sollte eine (dynamische) Ultraschalluntersuchung der Leistenregion zum Ausschluss von Leisten-oder Schenkelbrüchen (Inguinal-/Femoralhernie) erfolgen
Ergänzt wird die klinische Untersuchung durch eine bildgebende Diagnostik:
Nativröntgen: ca. 4 Wochen nach Erkrankungsbeginn zeigt sich eine Aufweitung der Symphyse, später eine mögliche Sklerose, Osteolyse und Knochenarrosion. Die Röntgenuntersuchung im Einbeinstand kann eine Symphyseninstabilität zeigen, die Iliosakralfugen werden ebenfalls beurteilt
Die MRT-Untersuchung (Kernspintomografie) spielt heute eine zunehmende Rolle (Vorteil: keine Strahlenbelastung!):
Bei einer Erkrankungsdauer unter 6 Monaten zeigt sich eine Flüssigkeitseinlagerung (subchondrales Knochenödem)
Gelegentlich besteht ein Erguss und Ödem an der Symphysenfuge (gibt es allerdings gelegentlich auch bei asymptomatischen Patienten!)
Bei Erkrankungsdauer über 6 Monate: Knochenverdichtung (subchondrale Sklerose), Knochenresorption, irreguläre Knochenränder und Randzackenbildung (Osteophyten)
Ergänzend kann eine Knochenszintigrafie veranlasst werden: im Anfangsstadium zeigt diese Untersuchung jedoch keinen auffälligen Befund
Computertomografie: Die Symphysenbeurteilung und der hintere Beckenring können hiermit beurteilt werden
Folgende Blutuntersuchungen können hilfreich sein: Blutsenkung, Leukozyten, C-reaktives Protein (CRP), Urinanalyse, Blutkultur (bei Fieber), insgesamt sind die Ergebnisse meist unspezifisch
Ähnliche klinische Symptome können bei zahlreichen anderen Erkrankungen auftreten. Bei einer wissenschaftlichen Konferenz zum Thema Leistenschmerz wurden 63 verschiedene Ursachen beschrieben. Zum Beispiel sind
gynäkologische, urologische, rheumatologische Erkrankungen zu bedenken.
Besondere Beachtung sollten Leisten-/Schenkelbrüche (Inguinal-/Femoralhernien) finden, da diese häufig vorkommen (siehe mehr Thema Leistenbruch). Veränderungen an der Hüftgelenkspfanne (z.B. Labrumeinriss am Acetabulum) dürfen nicht außer acht gelassen werden.

Wie sieht die Therapie der Schambeinentzündung aus?
In erster Linie konservativ: Das Hauptziel besteht in der Schmerzreduktion und der Identifizierung der auslösenden biomechanischen Störungen
Hauptmaßnahme: Ruhigstellung, Sportpause zwischen 2 Wochen und 3 Monaten
Kombination mit Physikalischer Therapie
Gewissenhafter Einsatz von entzündungshemmenden nichtsteroidalen Medikamenten (NSAR), Kortisonpräparaten, gegebenenfalls als Injektion.
In der akuten Phase evtl. zusätzliche Therapien (ESWT, TENS, Wärme-Kälte-Anwendung im Wechsel)
Ggfs. Entlastung mit Gehhilfe oder UA-Gehstützen, Orthesen bei Überlastung im Lenden-/Kreuzbeinübergang oder IS-Gelenk-Störungen.
In der Akutphase: Physikalische Therapie im Wasser, um die Mobilität des Beckenrings und der Hüftgelenke unter kontrollierten Umgebungs-bedingungen zu erhalten
Bei nachlassenden Beschwerden Beginn mit Kräftigung der Hüftbeuger, der Adduktoren, der Rumpfmuskulatur. Dehnungsübungen der Oberschenkelmuskelgruppen (ischiocrurale und Quadricepsmuskulatur).

Welche Prognose hat die Schambeinentzündung

Es handelt sich in der Regel um eine selbst limitierende Erkrankung, die üblicherweise innerhalb von 6 – 12 Monaten zur Ruhe kommt.
Aber: nach gut 12 Monaten sind nur etwa die Hälfte der Betroffenen wieder sportlich voll aktiv!

Eine hohen Stellenwert haben folgende Präventivmaßnahmen:

Erst leichtes Lauftraining, je nach Beschwerden reduzieren bzw. steigern
Gut gedämpfte Joggingschuhe
abrupte Bewegungsmuster vermeiden
Aufwärmen vor Sportaktivitäten, Adduktoren dehnen, Bauch-/ Rumpfmuskulatur trainieren
Muskuläre Balance herstellen (zwischen Adduktoren/Adduktoren)
Ggfs. Manualtherapie bei Hinweis auf Beteiligung der Iliosakralgelenke

Stellenwert der operativen Behandlung

Die operative Behandlung einer Schambeinentzündung wird in der Literatur mit einer Häufigkeit von 5 – 10% angegeben. Als Verfahren werden angegeben:
An der Schambeinfuge Abschaben von untergegangenem Gewebe (Kurettage)
Operative Versteifung der Schambeinfuge durch Platten/Schrauben (Arthrodese) – mit nachfolgend 3 Monaten Entlastung
Sparsame oder großzügige Abtragung von Knochen- und Symphysengewebe (wedge oder wide resection)
Die Ergebnisse dieser Operationsverfahren scheinen kurzfristig durchaus eine Besserung der Beschwerden zu bringen. Im Langzeitverlauf können jedoch häufig erneut Beschwerden auftreten. Im Endeffekt bietet die operative Behandlung keine Vorteile gegenüber einer intensiven konservativen Strategie.

Bei Vorliegen einer Leistenhernie:
Die Stabilisierung der Schwachstellen der Bauchwand durch operative Versorgung mit oder ohne Netzimplantation (s. Kapitel Leistenbruch) ist wichtig, um das biomechanische Gleichgewicht zu unterstützen. Es stehen hierzu einige Verfahren zur Auswahl.

•  Bei therapieresistenter Beschwerdesymptomatik am
Adduktorenansatz:
bewährt hat sich nach eigener Erfahrung des Autors eine netzartige Verlängerungsplastik der Adduktorensehne/-faszie, die den Adduktorenansatz entlastet (Operationsverfahren nach BRUNT). (s. Kapitel Sportlerleiste).